Sonntag, 18. Juli 2010

Mut zur Einzigartigkeit

Der Mensch hat einen starken Wunsch sich von anderen zu unterscheiden. Er möchte etwas Besonderes sein und aus der Menge herausragen. In den Bemühungen aber, anders auszusehen, als andere, sich anders zu geben, als andere, werden die Menschen doch wieder genauso wie alle anderen. Dieses Phänomen ist in allen Gruppierungen zu beobachten. Einerseits besteht der Wunsch nach Zugehörigkeit und Geborgenheit in einer Gruppe, andererseits nach Individualität und Einzigartigkeit. Für das eine wie das andere wird viel unternommen. Dabei ist der Blick meist nach außen gerichtet und es wird Gruppenzugehörigkeit oder Individualität demonstriert. Ganz besonders intensiv ist mir dies vor vielen Jahren in einer außergewöhnlichen Situation begegnet.

Damals war ich mal wieder in Südfrankreich mit dem Auto unterwegs, auf dem Weg von Arles hinein in die Camargue. Dort wollte ich an den Strand Les-Saintes-Marie-de-la-Mer und an der Wallfahrt der Zigeuner teilnehmen. Ich orientierte mich mit Hilfe einer zuvor gekauften Straßenkarte, d.h. damals ohne Navisystem. Völlig unerwartet tauchte vor mir ein Ort auf, der dort nicht sein sollte, denn es gab ihn nicht auf der Karte. Ich war gewohnt, dass sich Straßenkarten ändern, weil neue Wege und Straßen entstehen. Aber ich war nicht vorbereitet, dass auch komplett neue Städte als Gesamtpakete entstehen können. Doch fuhr ich nun durch die Straßen einer neuen Stadt mit Namen La Grande Motte. Alles wirkte wie aus einer Retorte, denn es waren ja keine gewachsenen Strukturen da. Der ganze Ort war wie eine Neubausiedlung künstlich erschaffen worden, was die Straßenkarten noch nicht erfasst hatten. Es war ein sehr eigentümliches Gefühl, mit dem ich durch den Ort ging. Alles kam mir unwirklich vor. Ich sah viele Menschen durch den Ort spazieren, die ebenso künstlich wirkten wie der gesamte Ort. Im Ganzen fiel besonders krass ein starkes Bemühen um Andersartigkeit auf. Da alles so geplant und gleichförmig wirkte, versuchten die Menschen sich in Kleidung und Bewegungsstil von der Umgebung und voneinander abzuheben. Keiner wollte geplant und gleichförmig aussehen, und doch geschah dadurch genau das Gegenteil: auch die Menschen unterschieden sich kaum voneinander.

In Frankfurt ist das auch überall zu sehen. Wer tagsüber in der Innenstadt rund um die Geschäftsgebäude unterwegs ist, sieht überall Menschen in Anzügen, je nach Witterung mit oder ohne Jacken, mit Dokumententaschen und Handys zwischen Menschen auf Shoppingtouren mit Taschen und Handys. Die meisten passen sich der äußeren Form der zugehörigen Gruppe an, um dazuzugehören bzw. sich von anderen abzugrenzen. Aber das Bemühen darum macht alle gleich. Genauso wie auf dem CSD an diesem Wochenende. Abgesehen von ein paar schrillen Vögeln, die sich mit einem mehr oder weniger kreativen Outfit präsentierten, sahen die meisten ziemlich gleichförmig aus. Es ist schon erstaunlich, wie wichtig vielen der gleiche uniforme Kurzhaarschnitt, das gleiche offensive Auftreten, der gleiche suchende oder lockende Blick ist. Das Angebot an sich anbietenden Partnern ist nur oberflächlich interessant, denn wirkliche Begegnungen können dort nicht stattfinden.

Ich glaube, dass sich echte Individualität nur im eigenen Bewusstsein finden lässt. Erst, wenn ich keine Bestätigung mehr von anderen brauche, wenn ich den Mut habe, auf mich selbst zu hören, mir selbst und meiner Wahrnehmung zu vertrauen und selbstständig entscheiden kann, erst dann werde ich einzigartig.

Hari AUM
Kumud